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Preußen

 

Theodor Fontane, der Dichter mit der griechischen Seele, der fritzischen Gesinnung und dem märkischen Charakter, schrieb einmal von dem "gleich sehr zu hassenden und zu liebenden Preußen". Ein ambivalentes Gefühl, das so mancher mit ihm teilte, der diesen Staat schätzte wegen der Redlichkeit und Pflichttreue seiner Menschen, wegen ihrer Toleranz und ihrer Gottesfurcht, ihres Ordnungssinns und ihres Fleißes, ihrer Tapferkeit und Disziplin, ihrer ganzen Gesinnung, die das Dienen vor das Verdienen setzte; der aber auch das nicht übersah, was Fontane das "Borussische" nannte: die unheilvolle Verquickung von Absolutismus, Militarismus und Spießbürgertum, das Unliebenswürdige, die wichtigtuerische Feierlichkeit.

Die Pervertierung von Tugenden zu Untugenden jedoch, die aus Gehorsam Untertanengeist machte, aus Ordnungsliebe Pedanterie, aus Selbstbewusstsein Arroganz, aus dem Mehr-Sein-als-Scheinen ein Mehr-Scheinen-als-Sein, gehört eher der Zeit des Wilhelminismus an, da Preußen bereits im Reich aufgegangen war.

Dieses Zeitalter aber, dem der unglückselige zweite Wilhelm den Namen gab, ist für die meisten Menschen identisch mit dem Begriff Preußen, und das Märchen konnte entstehen vom Staat der menschenverachtenden Junker, der kriegslüsternen Militärs, des Kadavergehorsams, das Gräuelmärchen von Preußen als dem Hort finsterer Reaktion.

Die Siegermächte von 1945 haben auch noch daran geglaubt. Sie brachten das längst tote Preußen noch einmal um. Und zwar durch den Kontrollratsbeschluss Nummer 46, mit dem sie, geleitet von dem Gedanken der Erhaltung des Friedens und der Sicherheit der Völker anordneten: "Der preußische Staat, seit jeher Träger des Militarismus und der Reaktion in Deutschland, hat de facto aufgehört zu existieren ... Er ist mit seiner Regierung und allen seinen Verwaltungsabteilungen aufgelöst."

Die Sieger schienen daran zu glauben, dass Friedrich der Große und Bismarck geistige Väter eines Menschen waren, wie er sich unpreußischer nicht denken lässt - Hitlers. Und bei denen, die sie besiegt hatten, wurde es von vielen auch geglaubt. Schließlich hatte bereits in der Mantelnote zum Versailler Vertrag gestanden, dass die ganze Geschichte Preußens durch den Geist des Angriffs und des Krieges charakterisiert werde.

Nun hat schon der Historiker Heinrich von Sybel festgestellt, dass Preußen, was die Zahl der kriegerischen Auseinandersetzungen betreffe, am unteren Ende der internationalen Tabelle rangiert. Weit hinter Russland, Frankreich, England, Österreich. Amerikanische Studenten der Geschichte wollten es noch genauer wissen und berechneten, dass zwischen 1800 und 1940 278 Kriege geführt worden seien, an denen England mit 28 Prozent beteiligt war, Frankreich mit 26 Prozent, Russland mit 23 Prozent und Preußen/Deutschland mit 8 Prozent.

Wer für solche gegenseitige Aufrechnerei nichts übrig hat, wird sich der Tatsache nicht verschließen, dass Preußen im 18. Jahrhundert als Zufluchtsstätte galt für alle Menschen, die in Europa ihres Glaubens wegen verfolgt wurden; dass es ein Land war, in dem der Bürger sagen konnte "Dann gehe ich eben zum König ..."; dass Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II. ihrem Staat durch Arbeit dienten und ihn nicht wie andere Fürsten durch Verschwendung ausplünderten; dass es von den Intellektuellen zum Land des Fortschritts erkoren war.

Golo Mann, der Liebe zu Preußen nicht verdächtig, meint: "Eingeschränkt werden muss auch die alte Überlieferung, wonach Preußen ein Junkerstaat gewesen sei. Junker, privilegierte Landbesitzer, gab es auch anderswo ..., und es ging ihnen anderswo besser ... Sie waren nicht die Herren in Preußen. Der Staat war der Herr ... Keine wüste Soldateska, keine übermütige Generalität schaltete. Die Soldaten waren diszipliniert bis zum Äußersten, Schrecklichsten; die Offiziere bescheiden bezahlt und unpolitisch."

Preußen hatte keine deutsche Mission, was auch immer die Droysen/Treitschkes darüber gesagt haben mögen. Es wurde ungewollt zum Gestalter des Deutschen Reiches. Seine Geschichte aber ist ungeachtet ein Teil der Geschichte unseres Vaterlandes. Und nicht ihr schlechtester.

Von der Glorie Preußens zu berichten, heißt nicht, es wieder restaurieren zu wollen. Preußen existiert nicht mehr. Es hat den Weg durchschritten, den ihm das Schicksal zumaß. Seine Tugenden aber, die diesen Staat zu seiner Größe verholfen haben, blieben über Jahrhunderte hinweg gültig.

Sie sollten es auch für uns sein. Für einen Staat, der reich ist an Gütern, aber arm an Idealen.

 

S. Fischer-Fabian

Vorwort seines Buches "Preußens Gloria"